Die Rückzugsgefechte des abgewählten US-Präsidenten dürften die Märkte noch einige Zeit beschäftigen. Langfristig von den Plänen seines Nachfolgers Joe Biden beirren lassen werden sich die Börsen aber kaum. Zumal der Demokrat für seine Politik erst Mehrheiten finden muss.
Von Christian Nicolaisen
Oops, he did it again? Nicht wirklich, aber zumindest ist es Donald Trump gelungen, die Demoskopen nach 2016 erneut Lügen zu strafen, indem er „schockierend stark“ (DIE ZEIT) aus dem Rennen um die US-Präsidentschaftswahl hervorgegangen ist. Entgegen den Prognosen deutete lange alles auf eine Pattsituation hin, die noch Gerichte beschäftigen und Stimmennachzählungen bedeuten könnte. Damit war exakt das eingetreten, was die Märkte am meisten fürchten: Unsicherheit. Und der S&P 500? Drehte ins Plus. Stellt sich die Frage: Was war da los?
Die Antwort: Die Märkte waren mit dieser Wette auf die Zukunft ihrer Zeit mal wieder ein gutes Stück voraus. Während Trump noch seinen Sieg verkündete, hatten sie bereits erkannt, dass Joe Biden genug Wahlmänner für den Einzug ins Weiße Haus zusammenbekommen, seine Demokratische Partei aber nicht die Kontrolle über den Senat würde übernehmen können. Dieses Divided-Government-Szenario aus einem Präsidenten, der schnell eine Stimulus Bill für die notleidende Wirtschaft verabschieden will, und einem Senat, der die Pläne Bidens für höhere Steuern einhegen dürfte, gilt unter Beobachtern als sogenannter Sweet Spot für die Märkte, als wirksamste Konstellation, um eben diese Steuererhöhungen zu verhindern und das nächste Hilfspaket auf den Weg zu bringen.
Daran zeigt sich, wie pragmatisch die Märkte auf politische Veränderungen reagieren. Die beispiellose Machtfülle der US-Präsidenten könnte zwar vermuten lassen, ein Wechsel an der Spitze der größten Volkswirtschaft der Erde sei maßgeblich für ihre langfristige Entwicklung. Der Wahlkampf hat sein Übriges getan, diesen Eindruck noch zu verstärken. Immer wieder hat die Kampagne Donald Trumps vor dem „Sozialisten“ Joe Biden gewarnt, der die USA durch höhere Steuern, wachsende Staatsausgaben und schärfere Regulierung in den Abgrund führen werde. Für nicht wenige Republikaner an der Wall Street steht der Demokrat denn auch unverändert für eine feindliche Übernahme durch die radikale Linke.
Wie überzeichnet dieses Bild ist, zeigt jedoch schon der Blick des linken Flügels der Demokratischen Partei auf den 77-Jährigen: Ihm wiederum gilt Biden als schwache Figur, deren ohnehin wenig ambitionierten Pläne von einem widerspenstigen Kongress und konservativen Richtern vereitelt werden dürften. Tatsächlich hat Biden unter anderem angekündigt, den Unternehmenssteuersatz von aktuell 21% wieder auf 28% anheben und die Wirtschaft stärker regulieren zu wollen. Gelänge ihm das, könnten die Gewinne je Aktie im S&P 500 laut Schätzungen der Investmentbank Goldman Sachs kommendes Jahr um rund 20 US-Dollar sinken. Wohlgemerkt: könnten.
Denn die Erfahrung lehrt etwas anderes. „Die Partei an der Macht hat nur wenig Einfluss auf die Wirtschaft und Gewinner und Verlierer einer Erholung“, sagte der New Yorker Analyst Christopher Marangi zur Nachrichtenagentur Reuters. Philipp Vorndran nennt im Gespräch mit Netfonds-Vorstand Peer Reichelt das Kind beim Namen: „Den Märkten ist eigentlich egal, wer US-Präsident wird“, so der Kapitalmarktstratege von Flossbach von Storch. Neu ist diese Erkenntnis nicht, im Gegenteil, gehört doch die Börsenweisheit, wonach politische Börsen kurze Beine haben, zu den ältesten überhaupt. „Die vergangenen Jahrzehnte haben den Anlegern zur Genüge Anschauungsmaterial gegeben, dass es grundsätzlich ratsam ist, als Investor politische Risiken deutlich tiefer zu hängen, als die Schlagzeilen vermuten lassen“, stellte Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege von J.P. Morgan Asset Management schon 2018 fest.
Selbst wenn Galler damals Griechenland, Nordkorea, die Ukraine oder Syrien im Sinn hatte, gilt seine Beobachtung auch für mit Unsicherheit behaftete US-Präsidentschaftswahlen: „Trotz dieser Krisen haben die Aktienmärkte nach einer jeweils kurzen Phase der Verunsicherung ihre Aufwärtsbewegung fortgesetzt“. Bleibt die Frage, wie kurz diese Phasen beziehungsweise die Beine letztlich ausfallen. Wie konkret der S&P 500 sich im Umfeld vergangener US-Wahlen verhalten hat, zeigt ein Chart von GAM Investment Management.
US-Aktien bei Wahlen (copyright GAM 2020)
Demnach hat sich der Index meist kurz geschüttelt, um seinen Kurs bald unbeirrt fortzusetzen. Selbst die Hängepartie zwischen George W. Bush und Al Gore im Jahr 2000 konnte ihn nicht nachhaltig verunsichern, allein zur Finanzkrise 2008 fiel der Verlauf aus dem Rahmen. Und 2020 ist nicht 2008: Heute werden die Kurse stetig angeschoben von einer enormen Menge Liquidität, unentwegt in den Markt gepumpt von der Fed.
Viel wichtiger als jedes Parteiprogramm ist angesichts der epochalen Krise, die das Land durch Covid-19 meistern muss, ohnehin der Kampf gegen die Seuche. Der weitere Verlauf an den Märkten wird stark davon abhängen, wie schnell der neue Präsident die nächste Stimulus Bill verabschieden und zugleich wirksame Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus durchsetzen kann. Und selbst, wenn die Pandemie einmal eingehegt ist, dürfte es der Biden-Administration schwerfallen, Steuererhöhungen umzusetzen, die das zarte Pflänzchen Wachstum womöglich komplett abwürgen.
Wie wenig herkömmliche Kategorien aktuell greifen, offenbart das Beispiel der Ölindustrie. Seit Biden in Aussicht gestellt hat, die Klimapolitik im Rahmen eines Green New Deal auf erneuerbare Energien auszurichten, gilt sie als logischer Verlierer des Machtwechsels. Von einer weiteren staatlichen Geldspritze für die US-Wirtschaft dürfte jedoch gerade sie durch die allgemeine Konjunkturbelebung mit am stärksten profitieren. Selbst die Waffenindustrie, wegen der Rufe der Demokraten nach schärferen Waffengesetzen ebenfalls erbitterter Gegner des Biden-Lagers, verdient: Jeder Vorstoß für eine Verschärfung treibt die Waffenverkäufe zuverlässig in die Höhe, weil sich viele vor dem möglichen Aus noch einmal eindecken wollen.
Da es für Biden schwer wird, die Unternehmenssteuern heraufzusetzen und von Trump deregulierte Bereiche wieder strengeren Regeln zu unterwerfen, dürften vor allem Technologie- und Finanzbranche sowie das Gesundheitswesen erleichtert reagieren. Auch sonst spricht Bidens Sieg weniger für gesamtwirtschaftliche Auswirkungen, als vielmehr für eine Sektorrotation. Seine Pläne für einen Green New Deal, also Investitionen in saubere Energien und grüne Infrastruktur, würden Investitionsströme weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energieträgern lenken. Ein höheres Haushaltsdefizit könnte die Anleiherenditen steigen lassen, maßgeblich sollte hier allerdings weiterhin die Fed bleiben.
Statt – wie von republikanischen Gegnern befürchtet – den US-Kapitalismus zu zerstören, wird Biden aber zunächst genug damit zu tun haben, überhaupt wieder kompetentes Management ins Weiße Haus zu bringen und die Gräben im Land zuzuschütten. Schafft er das, ist der wohl letzte Job des 77-Jährigen nach vier Jahrzehnten aktiver Politik erledigt.
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